Bäderarchitektur Blätterkatalog 2015
16 Sonneninsel Usedom „Dreiundeinehalbe Stunde Bahnfahrt, und man findet ein schönes, bequemes Hotel- und Villenviertel gleich an der See“, beschreibt der Dichter Heinrich Mann in seinem Essay „Ber- liner Vorort Heringsdorf“ das wohl eleganteste der drei Kaiserbäder. „In Heringsdorf gibt es er- staunlich viele Säulen an den Häusern. Auch der flache Giebel spielt eine Rolle. Der klassizistische Stil überwiegt von jeher...“. Von Manns bevorzug- tem Domizil, dem „Strandhotel Heringsdorf“, reihen sich die schmucken Abbilder großstädti- scher Prachthäuser wie Perlen einer Kette an- einander. Wenn ich an ihnen vorüberbummle, er- scheinen sie mir fast unwirklich schön. Paradie- sisch. In weiten Parklandschaften gelegen. Eines nobler und reicher verziert als das andere. Ein Blick vom Heringsdorfer Hausberg Kulm lässt meinen Blick weit über die Ostsee schweifen. Hell glänzt die Pyramide der Seebrücke in der Sonne. Mit 508 Metern ist sie die längste auf dem europäischen Kontinent. Erst 1995 neu erbaut – die alte Kaiser-Wilhelm-Brücke wurde 1953 und 1958 durch Brände völlig zerstört –, ist auch sie eine moderne Zeitzeugin Heringsdorfer Exklu- sivität. Dank der umtriebigen Delbrück-Brüder Adelbert und Hugo, die 1872 die „Aktiengesell- schaft Seebad Heringsdorf“ gründeten, stieg das einstige Fischerdorf schnell zu einem mondänen Seebad auf, in dem sich die Schönen und Reichen aus der Hauptstadt im Sommer ein stetes Stelldich- ein gaben. 15 Tennisplätze und sogar eine Pferde- rennbahn gab es, auf der auch die eine oder an- dere Flugschau vor Publikum dargeboten wurde. „Sehen und Gesehen werden“ – darum ging und geht es. Damals wie heute. Die großzügigen Frei- treppen, Marmorsäulen und Ornamente erzäh- len unzählige Geschichten davon; wie die von Kai- ser Wilhelm II., der gern auf einen Besuch in die Villa Staudt zum Tee mit der Frau Konsul kam. Doch der Kaiser war längst nicht der einzige pro- minente Gast des vergangenen Jahrhunderts. Ne- ben Thomas und Heinrich Mann, Maxim Gorki, Leo Tolstoi und Theodor Fontane flanierten auch Kurt Tucholsky und Johann Strauß durch das Kai- serbad. Und einmal mehr entdecke ich Heinrich Mann, gezeichnet von Erich Büttner, auf einer Bank sitzend, in den Händen ein gutes Buch, wie er über den Ort sinniert, der ihn immer wieder faszinierte: „Heringsdorf bewahrt Haltung und Tradition oder wenigstens die Reste davon...“ Seeheilbad Villa Irmgard ©Andreas Dumke, Hotel Seeschloß ©Roy von Elbberg und Villa Staudt ©UTG in Heringsdorf
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