Bäderarchitektur Blätterkatalog 2015

7 Bäderarchitektur DAMALS WAR‘S S chon kurz nach dem Aufwachen lockten mich laute Rufe an mein Fenster. Ich zog mir schnell meinen Morgenmantel über und trat hinaus auf den Balkon. Auch meine Frau Mama hatte die Neugier auf den Balkon des Salons gleich nebenan gelockt. Sie lächelte: "Schau der Kaiser. Er fährt zum Tee zu Frau Konsul Staudt.“ Unten auf der Promenade vor unserem Grand- hotel hatte sich eine grosse Traube um einen offenen Wagen versammelt. Sie jubelte dem Herrn mit dem markanten Schnurrbart zu, der im Schritttempo unter meinem Balkon vorüberfuhr. Ich konnte es kaum begreifen. Seine Ma jestät Kaiser Wilhelm II.. Unter meinem Fenster. So nah war ich ihm noch nie gekommen. Ich hatte ihn einmal bei einem Empfang in Berlin gesehen. Er war weit weg. Jetzt konnte ich jedes Haar und vor allem seine strahlend blauen Augen sehen und war beeindruckt. Wir waren gestern angekommen. Herr Papa wollte nicht den Schnellzug nehmen. Er sagte, er brauche frische Luft um die Nase. Darum sind wir mit dem Phaeton gefahren. Als wir an- kamen, war in unserer Suite bereits sämtliches Reisegepäck -„jedes Beinkleid im Strecker, jeder Rock auf dem Bügel, und auf der Frisiertoilette bis zur Puderquaste alles in peinlichster Ordnung*. Ich war aufgeregt. Ich hatte den Kaiser gesehen. “Ja, erklärte mir Frau Mama, wenn seine Ma jestät in Swinemünde weilt, kommt er gern auf einen Besuch bei der Frau Konsul vorbei.“ Es klopfte und ein Butler brachte auf einem silbernen Tablett eine Karte. Frau Mama nahm sie entgegen, studierte sie eingehend, knickte sie ein und legte sie auf das Tablett zurück. Der Butler verschwand lautlos wie er gekommen war. "Es hat sich herumgesprochen, dass wir zur Sommerfrische in Heringsdorf logieren“, begann sie. "Mach Dich hübsch! Heute Nachmittag wirst Du einen netten Herren, einen Bankier, auf der Rennbahn kennenlernen. Er wäre eine gute Partie. Vermögend. Mit einem exzellenten Ruf. Doch zuvor möchte Dein Herr Papa mit Dir zur Seebrücke flanieren.“ Ich machte grosse Augen. Ich wusste, dass es an der Zeit war, dass meine Frau Mama einen Ehegatten für mich fand. Aber musste es gerade heute sein? Ich nickte dennoch: “Ja, Frau Mama.“ Ich liebte es, am Arm meines Vaters an den prachtvollen Villen vorbei zu spazieren und die wohlwollenden Blicke der Entgegenkommenden zu spüren. Es war wichtig, gesehen zu werden, mit den richtigen Leuten einen P lausch zu halten. Ich hatte mir mein schönstes Promenadenkleid aus hellblau-cremefarbener Seide angezogen. Die frische Luft, das leise Rauschen des Meeres, die entspannten Menschen - es war so anders hier als im lärmenden Berlin. Nachmittags dann auf der Rennbahn. Frau Mama hatte mich herausgeputzt: Ausgehkleid aus Baumwolldamast darüber eine Tunika aus Seidenorganza mit Spitze. Ich kam mir schon vor wie eine Braut. Der Herr Bankier alt und fad. Ich lächelte trotzdem und hoffte insgeheim, er fände mich doch ein wenig zu jung. Mein Herr Papa erlaubte mir sogar zu wetten. Und ich setzte alles auf das schönste Pferd: Herold. Der Herr Bankier lieh mir sein Fernglas. Mein Herz schlug wild, als der Startschuss fiel. Und Herold gewann. Mein Jubelschrei missfiel Frau Mama sichtlich. Dem Herrn Bankier gefiel’s. Doch beim anschliessenden Tee in seiner Villa, durch deren herr- schaftliche Räume er mich führte, fand ich ihn fader noch als zuvor. Ich entschuldigte mich höflich und verabschiedete mich. Die Sonne auf der Rennbahn war wohl trotz des grossen Hutes zu viel. Der Abend kam und unserer Familie wurde eine besondere Ehre zuteil. Die Frau Konsul Staudt hatte zu einer Künstlerdarbietung in ihren Salon geladen. In ihrer Villa Marimar tra- fen sich die erlesensten Kreise. Es traten berühmte Sänger auf, Forscher berichteten über ihre Reisen, hochrangige Offiziere über ihre Erfolge in diversen Kriegen. Ich war froh, dass ich trotz der Sonne keinerlei Sommersprossen auf meinem Gesicht entdeckte. Ich wollte schön sein an diesem Abend. Ich war eine griechische Göttin in Seidenchiffon. Vom li vrierten Faktotum angekündigt, traten wir ein. Und da sassßer, auf der Chaise Lounge neben der Frau Konsul und unterhielt sich. Dezenter Oberlippenbart, dunkles Haar, eleganter Rock. Und als wir uns in die Augen sahen, wusste ich es: Ich bin verliebt. Baltic Fashion ©Roy von Elbberg

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