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Als meine Beine in 4.000 Metern

luftiger Höhe aus dem Flugzeug

baumelten, hatte ich zum ersten Mal

in meinem Leben wirklich Todesangst.

Und ich meine nicht die Angst, die sich

mit Augen-zu-und-durch überwinden

lässt. Ich meine Angst um das nackte

Leben. Doch in dem Moment, in dem

ich in der geöffneten Flugzeugtür saß

und auf das grenzenlose Blau der

Ostsee hinunterblickte, hatte ich längst

keineWahl mehr. Denn ich hatte mein

Leben in die Hände von Timm gelegt.

Timm Krüger. Hamburger. 100 Kilo-

gramm Lebendgewicht. Ein Berg von

einem Mann. Und die Ruhe in Per-

son. Und die hatte sich bis zu dieser

Sekunde auf wunderbareWeise auch

auf mich übertragen. Doch nun war

sie spurlos verschwunden. Denn Timm

fackelte nicht lange, schwang sich und

mich einmal nach hinten und sprang

mit mir im Känguru-Beutel beherzt

in die Tiefe. Ich schrie, sah überall nur

Wasser und irgendwo am Rande der

Verzweiflung einen grünen Flecken.

„Usedom“, schoss mir neben Gedan-

ken wie „Hier kommst du nie lebend

runter“ oder „Das war’s“ durch den

Kopf. Bis mir jemand auf die Schulter

tippte und mich abrupt aus meiner

Panik riss. Stimmt, da war ja noch was.

Timm und der Fallschirm. Und urplötz-

lich durchströmte meinen Körper ein

unbeschreibliches Glücksgefühl. Ich

flog – frei wie ein Vogel. Es war wie ein

Rausch. Ich musste lachen, schluckte

Luft und konnte doch nicht aufhören

zu grinsen wie ein Honigkuchenpferd.

Als Timm den Schirm öffnete, kam es

mir vor, als hingen wir nicht nur in der

Luft, sondern auch in der Zeit. Der

Blick über die Insel war grandios. Das

Achterland mit seinen verwinkelten

und verwunschenen Buchten. Das

glitzernde Haff. Die weiße Linie des

Strandes. UndWald, wohin ich nur

schaute. Usedom ist wunderschön aus

der Luft.

Einmal im Jahr findet auf der Insel der

Usedom Boogie statt. Zehn Tage lang

treffen sich auf dem Heringsdorfer

Flughafengelände Fallschirmspringer

aus ganz Deutschland, um die Insel

aus 4.000 Metern Höhe zu ersprin-

gen. Knapp 250 Springer waren es

2014. An die 3.000 Sprünge hatten

sie zusammen nach dem Boogie auf

„Usedom ist wunderschön

aus der Luft.“

dem Sprungkonto. „Die ganz Harten

springen zwischen acht und zehn

Mal amTag“, erzählt Thomas Reinke.

Thomas gehört zum Fallschirmsport-

club Mecklenburg und ist ein Usedom

Boogie-Mann der ersten Stunde. Er

hatte 2002 die Idee zu diesem Event,

nachdem er sich ein paar Mal mit

Freunden im Urlaub zum Fallschirm-

springen auf Usedom getroffen hatte.

„Die Kulisse ist zum Springen spekta-

kulär. Meer, Strand, Dünen, das Achter-

wasser, dieWälder. Irre!“ Nach dem

ersten Mal kamen die Sprungfans auf

insgesamt 300 Sprünge. Die Zahl hat

sich verzehnfacht. „Wir sind das größte

Treffen dieser Art in Deutschland“,

weiß Thomas. Dabei hat der 49-Jährige

selbst erst mit 30 Jahren angefangen.

Seit einemTandemsprung, den er zum

Geburtstag geschenkt bekommen

hatte, lässt ihn das Sprungfieber nicht

wieder los. Mehr als 1.800 Sprünge

hat er seitdem gemacht. Nicht ganz so

viele wie Timm. Der kommt sogar auf

mehr als 3.000 Fallschirmsprünge.Wie

gut, dass ich mir für meinen Sprung

einen so erfahrenen Tandemmaster

geangelt habe. Um einen Tandemmas-

ter machen zu können, muss man min-

destens 500 Mal aus einem Flugzeug

gesprungen sein.

Gleich neben dem Start- und Lande-

Areal haben sich die Skydiver ein

kleines Camp aufgebaut. Darin steht

Perspektiv

wechsel

Inselhopping aus 4.000 Metern

Überglücklich und noch ganz hin und weg vom

Höhenrausch: „Auch wenn ich nie im Leben allein

aus dem Flugzeug gesprungen wäre, hat sich

die Überwindung der Angst gelohnt. Usedom von

oben ist einfach ein Traum!”

Spezial

über den

Wolken

16 | Usedom Magazin

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