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Winter

Über Nacht ist derWinter mit seinem kalten

Atem über das Meer gekommen. Die Natur

trägt ein strahlend weißes Kleid. DasWasser

am Ufer, das sonst gewaltige Steine umspült, ist

erstarrt. Das Licht derWintersonne glitzert in

vergänglichen Skulpturen auf Zeit – schmückt

das Eis mit den Farben des Regenbogens. Das

gefroreneWasser scheint sein Gewicht ver-

doppelt zu haben.Alles wiegt schwerer, alles

läuft langsamer ab. DieWindflüchter am Meer

scheinen ihre Kronen noch weiter zur Erde

herab zu neigen. ImWinter auf Usedom ticken

die Uhren anders.

Zeit und Gelegenheit, mit sich und seinen

Gedanken allein am Meer zu sein, um zwischen

Spülsaum und Düne spazieren zu gehen.

Viel Platz und Raum, vergessene Träume und

verblassende Erinnerungen aufzufrischen und

zu intensivieren. Eine kalte Arena mit frostiger

Kulisse – ein Stelldichein zwischen Erinnern

und Erleben.

Text

und

Gedicht

Rico Nestmann

11 | Usedom

Geschichten

10 | Usedom

Geschichten

Sommer

Sommer, Sonne, Strand – Usedom ist das

Paradies für Sonnenanbeter und Badenixen,

für Aktivurlauber und Beachvolleyballer.

Wenn die Regenpfeifer im Spätsommer

auf den abgeernteten Getreidefeldern ihr

Klagelied anstimmen, ist die bunteste Zeit

des Jahres nicht mehr weit. Bevor der

Herbst auf der Leiter steht und die Natur

auf Usedom in ein buntes Farbenmeer

verwandelt, starten weiße Segelboote auf

blauenWellen zu letzten Törns übers Meer.

Windsurfer gleiten scheinbar mühelos

über dieWellen.

Dem Blau des Himmels, dem Grün des

Wassers und demWeiß des Sandes wird

an Usedoms Stränden ein buntes Meer

an Strandmuscheln und Badetüchern ent-

gegengesetzt. Ein Feuerwerk der Farben,

mit dem die Zeichen auf Urlaub, Spaß und

Erholung stehen. Mit etwas Glück finden

Strandspaziergänger einen leuchtend

gelben Stein zwischen Tang und Muscheln –

den Bernstein, das Gold der Ostsee.

Frühling

Wenn im Frühling die Zugvögel aus ihren

Winterquartieren an die Ostsee zurückkeh-

ren, um hier zu brüten, ihre Jungen aufzu-

ziehen oder weiter in Richtung Norden zu

fliegen, bringen sie auf ihren Schwingen das

Licht, dieWärme, die Nahrungsfülle und die

Lebensfreude mit. Die Menschen am Meer,

die seit jeher imTakt desWellenschlags leben,

fühlen den Rhythmus der Jahreszeiten. Sie

spüren die neue Kraft, die ihnen das Frühjahr

schenkt. Die Natur scheint zu explodieren –

überall lassen sich Farben und Formen der

vielfältigen, berauschenden Art entdecken.

Im Usedomer Hinterland, jenseits der

mondänen Kaiserbäder, zieht ein Segelboot

auf demAchterwasser seine Bahn. Davor lädt

eine rote Klatschmohnwiese zumTräumen

ein.Weiße Segel auf blauenWellen, rote

Blumen auf grünerWiese – die Sinfonie der

Farben im Frühjahr auf Usedom leuchtet

dem Betrachter bis ins Herz.

Herbst

Der Herbst ist auf Usedom nicht nur die bunteste Zeit des Jahres, sondern auch die Zeit

desVogelzuges.Tausende Kraniche undWildgänse kommen aus ihren Brutrevieren in Skan-

dinavien und Osteuropa und überfliegen auf ihremWeg in den Süden auch die Ostseeinsel

Usedom. Für denVogelzug von Nord nach Süd sind die Küstenlinien seit jeher auch Leit-

linien undWegweiser für die großenWanderungen.

Der Zug der Kraniche – auch „Vögel des Glücks“ genannt – ist eines der letzten Naturschau-

spiele in Mitteleuropa, das sich im Herbst an der Ostsee hautnah erleben lässt. Usedom ist

zwar kein bedeutendes Brutrevier für Kraniche, aber auf ihremWeg von Nord nach Süd sind

die Landstriche an Peene,Achterwasser und Meer willkommeneTrittsteine und Rastplätze

auf dem langen und beschwerlichen Zug, der denVögeln viel Kraft abverlangt.

Die Kraniche wecken auf Usedom das Fernweh.

Ostsee

WildeWellen voller Grollen

tosend an das Ufer rollen,

doch schon bald liegt es ganz still –

wenn das Meer es denn so will.

DieseWeite, diese Ferne

spüre ich am Strand so gerne,

dieses weite, ferneWeh –

schweift hinweg über die See.

Wenn der Sonne gleißend Licht

überWellenkämme bricht,

sind die Augen wie geblendet –

sich die Seele meerwärts wendet.

Blaue See, die ich so liebe

Tag für Tag ich traurig bliebe

voller Schmerz im Herzen steh’n –

könnt’ ich sie nicht wiederseh’n.

Fotos Seite 10 & 11: Karsten Diedrich (2); Dirk Bleyer; Dr. Gründling; shutterstock: ©Vladimir Dokovski, ©Miro Novak, ©photka, ©Potapov Alexander, ©vectorkat, ©siro46