

87 | UsedomAktiv
Fliegen
Zwei großeWellblechhallen mit einem kleinen Häuschen davor.
Manch Vorbeifahrender fragt sich, was das sein möge. Hier in
Mellenthin liegt mitten in denWiesen eine verborgene Usedomer
Attraktion. Es ist der Flugplatz des Usedomer Fliegerclubs e.V.
Mellenthin, von dem aus man zu „Schnupperflügen“ in Ultraleicht-
flugzeugen starten und das Fliegen mit diesem – wie es offiziell
auch heißt – „Flugsportgerät“ erlernen kann.
Seit 1991 gibt es diesen Verein, der heute etwa 30 Mitglieder zählt.
Von hier aus sollten die Agrarflieger starten, doch im vereinigten
Deutschland kam es nicht mehr dazu. Stattdessen zogen junge
Hobbyflieger ein, um aus ihrem Beruf ein Freizeitvergnügen zu
machen.Wolfgang Sauer kam 1993 als Fluglehrer hinzu und ist nun
1.Vorsitzender des Vereins. Er nennt – gemeinsam mit anderen –
ein Ultraleichtflugzeug sein eigen und wird wohl nie die Begeiste-
rung am Fliegen verlieren, denn er schwärmt noch immer von der
Natur, die sich beim Fliegen unter ihm ausbreitet. Bei klarer Sicht
kann man bis zu den Rügener Kreidefelsen schauen, aber auch
die sich verändernden Dünenlandschaften und der Blick auf den
Schmollensee lassen sein Fliegerherz höher schlagen.
Die Reisegeschwindigkeit eines solchen Fliegers beträgt zwischen
90 und 160 Kilometer pro Stunde und für ein Flugzeug ist es
wirklich ultraleicht – maximal 475 Kilogramm mit Besatzung und
Benzin. Bei Mitfliegern kommt dabei schnell das kribbelnde und
beeindruckende Gefühl auf, vom Himmel nur wenige Zentimeter
getrennt zu sein und fast wie ein Vogel in der Luft zu schweben.
Über denWolken
Dem Sonnenuntergang auf Usedom entgegenfliegen, ihn
schwebend am Himmel genieSSen. Oder die Kaiserbäder samt
Dünen und Strand, das Achterwasser aus derVogelperspek-
tive zu sehen – was kann es Schöneres geben? Der Flugplatz
Mellenthin ist ein Geheimtipp auf der Insel Usedom und lädt
zu ganz besonderen Erlebnissen ein.
Text
Martina Krüger
Fotos
Dirk Bleyer
Dieses Gefühl erinnert schließlich auch an die Visionen von Otto
Lilienthal, der mit seinen erfolgreichen Flugversuchen in seinen
Hängegleitern und den Beobachtungen des Vogelfluges die Grund-
lagen für die heutige Fliegerei geschaffen hat. Er gilt als erster
Flieger der Menschheit. Kurz vor der Insel Usedom, in Anklam, ist
Lilienthal 1848 geboren, er ging dort aufs Gymnasium. Lilienthal
beobachtete gemeinsam mit Bruder Gustav das Verhalten der
Störche und führte Experimente mit Flügelschlagapparaten durch.
Seine Ferien verbrachte er als Kind bei seinem Onkel Wilhelm
in Mölschow im Norden der Insel. Im Anklamer Otto-Lilienthal-
Museum werden die Besucher umfassend und auf originelle
Weise über den Flugpionier und die Grundlagen seines Fliegens
informiert. Einige der Museumsmitarbeiter wollten dann auch
praktisch wissen, was es mit dem Fliegen auf sich hat und machten
in Mellenthin sodann den Flugschein. Auch einige Urlauber sind
Vereinsmitglieder geworden, sie können mit der Vereinsmaschine
im Urlaub Richtung Horizont abheben und den Alltag zurücklas-
sen. Das Wichtigste bei dieser Art der Fliegerei ist ja nicht von
einem Ort zum nächsten zu kommen, sondern das Gefühl zu
fliegen und dieWelt aus einer anderen Perspektive zu sehen. Ganz
wie schon Reinhard Mey es besang: „Über denWolken muss die
Freiheit wohl grenzenlos sein. Alle Ängste, alle Sorgen, sagt man,
blieben darunter verborgen.“