

A
n der Seebrücke von Ahlbeck hat das tagelange
Zusammenspiel von spritzendem Ostseewas-
ser und zweistelligen Minusgraden eine bizarre
Traumlandschaft aus
erstarrtenWellen
geformt.Wie der
gläserne Palast der Schneekönigin mutet
dieses glitzerndeWunderwerk der Natur
an. Kunstvolle Skulpturen aus Eis präsen-
tieren sich in der Wintersonne nicht nur
als vergängliche Kunstwerke auf Zeit, son-
dern auch als Faszination von Meer und
Eis.Vor dem Strand von Heringsdorf trei-
ben Eisschollen auf der Ostsee. Das gibt
es auf Deutschlands zweitgrößter Insel
nicht in jedemWinter zu sehen, denn be-
vor das blaue Binnenmeer zufriert, bedarf
es schon zweistelliger Minusgrade, die
über mehrereWochen vorherrschend
sein müssen. Ein kleiner Wall aus Schnee
und Eis säumt das Ufer. Ein eisiger Hauch
weht von Nordosten über die Pommer-
sche Bucht.Trotzdem sind Spaziergänger
undWanderer am Strand unterwegs, um
die winterliche Natur und die weißen
Landschaften am Meer zu erleben.
Ein paar Kilometer weiter hängen mäch-
tige Eiszapfen an der Seebrücke von Ko-
serow. Eine Urlauberin steht am vereisten
Ufer – umringt von einer Schar hungriger
Lachmöwen. Die weißen Segler imWind
freuen sich jetzt, in der kältesten Zeit des
Jahres, über Futtergaben aus der Hand des Menschen. Die flinken
und eleganten Möwen, die ihr schokoladenbraunes Sommergesicht
gegen das graueWinterantlitz getauscht haben, erinnern sich gern
an die schönen Sommermonate, in denen
sie zwischen Strandkorb und Strandmu-
schel auf Brötchenreste und Eiswaffeln
gestoßen sind. Die Möwen flattern im
Wind, vollführen geschickte Flugmanöver
und fangen die heransausenden Futter-
brocken geschickt auf.
Noch ein paar Kilometer weiter betritt
der Inselgast das stille Land abseits der
Kaiserbäder – den Lieper Winkel. Auf der
völlig flachen, abgelegenen Halbinsel wird
man wenig Spektakuläres finden – dafür
aber sehr viel Ruhe.Vor Warthe haben
sich hunderte Eisschollen zusammenge-
schoben. Meterhoch ragen die eisigen
Gebilde auf. Bis hinauf aufs flache Peene-
ufer haben sich die Eisschollen gescho-
ben, kamen nur einen halben Meter vor
vier kleinen Schwarzerlen inWassernähe
zum Stillstand. Hätte sich die tonneschwere
Last noch weiter vorangeschoben, hätten
die scharfen Kanten der Eisschollen die
kleinen Bäume umgeknickt wie Streich-
hölzer. So blieben jene Bäumchen
verschont, auf denen im Sommer der
mächtige Seeadler seinen Ruheplatz
findet und das Treiben auf der Peene
beobachtet.Vom Fischerplatz inWarthe,
der sich in den vergangenen Jahrzehnten
zu einem kleinen Hafen mit einigen
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Winterwunder
WENN DERWINTER USEDOM IN EISIGER UMKLAMMERUNG HÄLT,WIRD JEDER SPAZIERGANG
AUF DER INSEL ZU EINEM ERLEBNIS BESONDERER ART. EIS UND SCHNEEVERLEIHEN DEN LAND-
SCHAFTENAN PEENE, HAFF UND MEER EINEN GANZ EIGENEN, SPEZIELLEN UND FASZINIEREN-
DEN REIZ. DAS ERLEBNISVONWIND,WASSER UNDWELLEN IST SO INTENSIV, SO EINDRINGLICH
WIE NIE ZUVOR.
Text
und
Gedicht
Rico Nestmann
93 | ENTDECKEN
USEDOM IMWINTER
Das Zusammenspiel vonWind,Wasser und Frost sorgt an vielen Uferbereichen
der Ostseeinsel Usedom für bizarre Eisgebilde.
Gedicht
Wintertag am Meer
Eiswind streichelt flaches Land,
treibt dieWolken über‘n Sand,
lässt das Meer wie wild erbeben
und dieWellen landwärts streben.
Flockenwirbel in der Nacht,
hat die Landschaft weiß gemacht.
Eiskristalle können blitzen,
durch der Sonne Lichterspitzen.
Wohin Einsamkeit entführt,
bleibt Natur fast unberührt.
Ganz allein kann man oft lauschen,
lieblich schönemWellenrauschen.
Wer am Meer alleine geht,
fühlt vomWind sich sanft umweht.
Lässt am Strand mit etwas Glück
eine Spur im Sand zurück.
Doch das Meer ganz ungehemmt,
hat den Abdruck fortgeschwemmt.
Diese Spur nicht lange lag,
hielt nur einenWimpernschlag.
In denWeiten der Natur
bleibt der Mensch nur Randfigur.
Stapft alleine durch den Schnee,
winzig klein an weiter See.