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V

on ihrer Funktion her ist die Seebrücke

Ahlbeck – wie jede Seebrücke – schon etwas

Besonderes. Brücken verbinden per definiti-

onem zwei feste Punkte, überbrücken Täler,

Flüsse oder Straßen. Eine Seebrücke aber führt ins Unge-

wisse, in etwas Imaginäres. Gewiss, manchmal legt ein Schiff

an, das man besteigen kann, aber die meiste Zeit endet sie

im Meer und der Blick kann in dieWeite schweifen. An der

Grenze zwischen Naturerlebnis und Bezwingung ihrer Ge-

walten flanieren hier die Spaziergänger, nahezu zweckfrei,

nur dem eigenen Genuss verpflichtet.

Neben der ganz eigenen Poesie ihrer Gattung hat aber

speziell die ‚Alte Dame‘ in Ahlbeck noch einen besonderen

Symbolwert, den nur wenige Bauten in Deutschland haben.

Das Brandenburger Tor natürlich, der Kölner Dom, die

Dresdner Frauenkirche. Sie sind nicht bloß Sehenswürdig-

keiten, die man besichtigt, weil sie kulturhistorisch oder ar-

chitektonisch bedeutsam sind. Menschen besuchen sie, weil

sie für etwas Größeres stehen, für dieWiedervereinigung,

für ein ersehntes oder tatsächliches Gemeinschaftsgefühl,

für den Glauben an etwas. Sie sind durch ihre Geschichte

aufgeladen, emotionalisierte Konstruktion gewissermaßen.

Und so steht die pittoreske Seebrücke Ahlbeck mit ihren

vier Dach-Hütchen auf dem Pavillon für den gemeinsamen

Humor der Deutschen. Sie bildete nämlich die Kulisse für

die Szene des 80. Geburtstags der Schwiegermutter im

Film ‚Pappa ante Portas‘ – damals noch ohne Landungssteg.

Vicco von Bülow alias Loriot grub damit die Seebrücke

ins kollektive Gedächtnis der Deutschen. Ost undWest

lachten zusammen über den absurden Humor des genialen

Komödianten und machten seinen zweiten Kinofilm zum

erfolgreichsten deutschen Streifen des Jahres 1991. So

unterschiedlich die fünf neuen und elf alten Bundesländer

auch sein mochten, so verschieden die Sozialisation und

Erfahrungen ihrer Bewohner waren – hier konnten sie

sich erstmals wieder gemeinsam amüsieren. Für seinen

Film übrigens ließ Loriot die Seebrücke weiß streichen –

so wie er sie aus seiner Kindheit kannte. Damit wurde die

Seebrücke nicht nur beliebtes Postkartenmotiv, sondern

auch Symbol für das Zusammenwachsen nach der Wieder-

vereinigung.

DerVerstand erfasst die Seebrücke Ahlbeck

schnell. Da reichen Daten, Zahlen, Fakten:

1898 gebaut, 280 Meter Gesamtlänge. Der

170 Meter lange Seesteg, 1942 zerstört,

wurde in den 90er-Jahren des letzten Jahr-

hunderts wieder errichtet. Doch damit die

Seele das Herz dieses Bauwerks zu verste-

hen vermag, helfen keine Zahlen. Da bedarf

es vielmehrWorte – oder einfach eines

Besuchs.

Über die Brücke geh’n …

Sehenswürdigkeit mit gesamtdeutschem Humor:

Die Seebrücke Ahlbeck

Text

Clemens Glade

Seebrücke Ahlbeck

Dünenstraße 37

17419 Seebad Ahlbeck

Restaurant und Bar:

www.seebruecke-ahlbeck.de

Fotos Seite 40 und 41: ©Dirk Bleyer und Aneta Szydlak (1); Roy von Elbberg (1)

40 | Usedom Magazin

41 | Usedom Magazin