S
chon allein aufgrund ihrer Farbe – die Villa
erstrahlt selbstbewusst, nahezu kokett im
preußischen Ockergelb – ist sie nicht zu
übersehen. Und strotzt nur so vor baudenk-
malerischen Pomp: Wegen ihres wertvollen
Mosaiks am Giebel zur Seeseite gilt sie heute noch als
eines der kunsthistorisch bedeutendsten Bauwerke
Heringsdorfs. Das Mosaikbild ‚Badende Grazien‘ hat der
Italiener Dr. Antonio Salviati geschaffen. Der Inhaber und
Leiter der legendären Glaswerkstätten von Murano hatte
unter anderem auch die Kuppel von St. Paul's Cathedral
und die des Aachener Doms verziert. Auch in der Ber-
liner Siegessäule findet man seine Mosaiken. Das Entrée
zur Seeseite wird zudem von zwei opulenten, jeweils fünf
Tonnen schweren Granitsäulen getragen, die in Wolgast
geschliffen wurden.
Im Kaminzimmer prunkt ein gigantischer Leuchter aus böh-
mischem Kristall. Die blattgoldgeschmückten Stuckdecken
sind in jedem der fünf Räume anders gestaltet, die Türen sind
mit Illusionsmalerei verziert. Bei der mit dem Bundespreis für
Handwerk in der Denkmalpflege ausgezeichneten Sanierung
Altehrwürdiges Juwel
Die Villa Oechsler in Heringsdorf ist eines der kunsthistorisch
bedeutendsten und schönsten Bauwerke des Kaiserbads
Muss das eine Aufregung gewesen sein, wenn Seine Majestät Kaiser Wilhelm II. mal wieder zur
Teevisite bei Frau Konsul Elisabeth Staudt nach Heringsdorf kam. Die Anwesenheit des Kaisers
lockte dann stets Schaulustige an die Promenade. Es kursierte das Gerücht, dass deshalb die
Besitzer der benachbarten Villen alles gaben, um entsprechend zu glänzen. Auf einer leichten
Anhöhe zur Rechten thront sie noch heute erhaben: die Villa Oechsler in der Delbrückstraße.
Ein wahres Prachtstück.
von 1997 bis 1999 legte der Eigentümer beson-
ders viel Wert darauf, alles wieder so originalge-
treu wie möglich herzustellen. „Es wurde extra
eine Münchner Künstlerin beauftragt, die an der
Schule für Holzmalerei in Antwerpen gelernt
hat“, sagt Rolf Landau, der die Sanierungsarbei-
ten hautnah miterlebt hat. Seine Frau Cornelia
eröffnete 1999 die Boutique ‚Maison Vogue‘
in der Villa. Ihre Kundinnen lustwandeln über
original Eichen-Fischgrät-Parkett. Im damaligen
Eingangsbereich – die Herrschaften betraten die
Villa von der seeabgewandten Seite – hängt noch
ein antiker Quecksilber-Spiegel, der den Hinein-
blickenden durch seine Glitzerelemente jünger aus-
sehen ließ. Spieglein, Spieglein an der Wand …
Die Villa wurde 1883 ganz im Stil des Spätklas-
sizismus errichtet. Bauherr war Kommerzienrat
Hermann Berthold, Mechanikermeister und
Gründer der Berthold Messing AG aus Berlin.
1905 kaufte der Berliner Bankier Hans von
Bleichröder, Sohn des Bismarckʼschen Bankiers
Gerson von Bleichröder, die Villa. Er galt als einer
der reichsten Männer der Welt. Nach weiteren
Besitzerwechseln ging die Villa dann an Elise
Oechsler über, die Ehefrau von Otto Oechsler,
einem Fabrikanten aus Nürnberg. „Die Enkelin
hat uns sogar einmal besucht und erzählt, wie
sie im Garten gesessen und aufs Meer geblickt
habe“, erzählt Cornelia Landau. Nach dem Ende
des Zweiten Weltkriegs war die Villa Sitz der
Kommandantur der sowjetischen Besatzungs-
streitkräfte. Zu DDR-Zeiten beherbergte sie die
Heringsdorfer Maxim-Gorki-Bibliothek.
Wenn die Mauern in der Delbrückstraße doch
nur sprechen könnten. In einem Badejournal aus
dem Jahr 1902 war zu lesen: „Wer sich satt gese-
hen hat an dem Fashion-Treiben …, der pilgert
wohl die Strandpromenade weiter nach Osten,
vorüber am Damenbad und Mischbade und …
all den Villen, darunter der Delbrück-Villa und
der Bertholdschen …“
Mit der Modeboutique des Ehepaares Landau
schließt sich nun wieder der Kreis – der neue
Glitzer ist eingezogen in das altehrwürdige Juwel.
Text
Heidi Müller
Fotos
Dirk Bleyer und Aneta Szydlak
Linke Seite:
Auf einer leichten Anhöhe erstrahlt sie selbstbewusst im
preußischen Ockergelb, die Villa Oechsler.
Oben – Mitte – Unten:
Das kunsthistorisch wertvolle Mosaik ‚Badende Grazien‘ am
Giebel zur Seeseite.
Seit 1999 ist die Mode-Boutique ‚Maison Vogue‘ in der Villa un-
tergebracht: eine schillernde Symbiose von Luxus und Lifestyle.
Das ehemalige Kaminzimmer als Entrée. Für die liebevolle
Sanierung wurde die Villa mit dem Bundespreis für Handwerk
in der Denkmalpflege ausgezeichnet.
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