Hans Werner Richter
Ein feinfühliger Geist mit gutem Gespür
ls Günter Grass 2005 in Lübeck einen litera-
rischen Zirkel ins Leben rief, wurde dieser in
Anlehnung an die ‚Gruppe 47‘ als ‚Lübeck 05‘
bezeichnet. Grass distanzierte sich: „Das lässt sich
nicht fortsetzen. Es gibt unter uns keinen Hans
Werner Richter.“ Die ‚Gruppe 47‘, die wichtigste
bundesdeutsche Schriftstellergruppierung der
Nachkriegszeit, war eine Runde junger, noch
unbekannter Autoren, die produktiv und kritisch
ihre eigenen Werke betrachteten. Hans Werner
Richter lud persönlich ein, wen er interessant
fand. Und er bewies dabei ein erstaunliches
Gespür. Der junge Günter Grass beispielsweise
las hier ein noch unveröffentlichtes Kapitel aus
‚Die Blechtrommel‘ – und wurde über Nacht be-
rühmt. Heinrich Böll, Ingeborg Bachmann, Walter
Jens stellten sich ebenfalls der Kollegenkritik. Die
Liste der Namhaften, die irgendwann einmal in
der ‚Gruppe 47‘ lasen, ist lang.
Dieser Richter, der in seiner Autobiografie damit
kokettiert, er habe keine besonderen Talente und
sei ein einfaches Gemüt, muss ein feinfühliger,
kluger, aber konsequenter Spiritus Rector dieser
literarischen Vereinigung gewesen sein. Hier
fanden die heftigsten Auseinandersetzungen über
Lyrik und Belletristik statt, die die Gruppe letzt-
lich nur beförderte. Hier entstand die Keimzelle
der neuen deutschsprachigen Literatur.
Der große Literaturbeförderer Hans Werner
Richter wurde in Neu Sallenthin, gleich hinter
Bansin, im Jahr 1908 geboren. Sein Vater war
Fischer und er hatte sechs Geschwister, darunter
fünf Brüder und eine Schwester. Richter lernte in
Swinemünde Buchhändler – mit mäßigem Erfolg,
dennoch nahm ihn ein Buchhändler in Berlin zum
Gehilfen. Richter versuchte aktiv Widerstand
gegen die aufkommenden Nazis zu organisieren
und blieb den Büchern treu.
Immer wieder zog es ihn nach Bansin zu seiner
Familie, wo er zeitweise als Tankwart an der
Küste arbeitete. Richter wurde schließlich Soldat
und kam in amerikanische Kriegsgefangenschaft.
Nach seiner Freilassung gründete er die linke
Literaturzeitschrift ‚Der Ruf‘ und im Anschluss die
‚Gruppe 47‘.
Viele Schriftsteller, Journalisten und Verleger haben
viel Gutes und Kluges über ihn gesagt – doch einen
Ort, wo man ihm auf besondere Weise begegnen
kann, gibt es nur in Bansin. Im Jahr 2000 wurde das
alte Feuerwehrhaus zum Hans-Werner-Richter-
Haus umgebaut, sein Arbeitszimmer und seine
Bibliothek sind zu benutzen und zu besichtigen.
Ganz im Sinne Richters finden hier literarische
Zusammenkünfte statt. Seit acht Jahren zum
Beispiel die ‚Hans Werner Richter Literaturtage‘
mit stets wechselnden Schwerpunkten. 2015 stand
beispielsweise die Beziehung zwischen Literatur
und Journalismus im Fokus.
Prof. Dr. Birgit Dahlke von der Humboldt-Uni-
versität zu Berlin betont, diese Konferenzen seien
ganz im Sinne Richters: „Was er für seine Zeit
getan hat, das machen wir in seinem Namen, für
unsere Zeit.“ Dieser Ort sei einfach authentisch,
schwärmt sie. Hier findet jenseits der Vorträge
stets auch Gedankenaustausch zu neuen Projek-
ten statt. Prof. Dr. Monika Wolting, Germanistin
von der Universität Wrocław, nimmt zum dritten
Mal an den Literaturtagen in Bansin teil. „Wichtig
ist diese Kontinuität im Nachdenken über Hans
Werner Richter.“ Prof. Dahlke ergänzt: „Die
‚Hans Werner Richter Literaturtage‘ sind ein
Ideen- und Inspirationsgeber.“ Mehr kann eine
dreitägige Konferenz wohl kaum bewirken.
Beide Professorinnen kennen sich in Bansin aus,
erzählen von der Richterʼschen Hoflage: Dort hat
ein Großteil der weitverzweigten Familie gelebt,
aber richtig zu verstehen sei Bansin nur, wenn
man Hans Werner Richters Bücher gelesen habe.
Eine zuweilen sehr amüsante Lektüre über den
Alltag des Ortes. Übrigens: Der Schriftsteller
Richter fiel bei seinen Kollegen in der ‚Gruppe 47‘
mit seinen Textangeboten durch. Dies nahm ihm
zum Glück nicht den Mut zum Schreiben – und
im Durchfallen war er nicht allein: Der großartige
Lyriker Paul Celan fand ebenfalls bei den Kollegen
keine Gnade.
Dass es die Bücher Hans Werner Richters wieder
gibt, ist auch Günter Grass zu verdanken, der
sich nach einem Besuch in Bansin dafür einsetzte,
einige seiner Bücher im Verlag Klaus Wagenbach
wieder aufzulegen.
Hans Werner Richter, der sein ganzes Leben lang
Bansin die Treue hielt, ist auf dem Friedhof in
Benz begraben.
Text
Martina Krüger
Buchempfehlungen:
1953:
‚Spuren im Sand: Roman
einer Jugend‘,
Steidl Verlag, Göttingen.
1981:
‚Die Stunde der falschen
Triumphe‘,
Verlag KlausWagenbach,
Berlin.
1982:
‚Geschichten aus Bansin‘,
Nymphenburger Verlag,
München.
1982:
‚Ein Julitag‘,
Nymphenburger Verlag,
München.
Hans-Werner-
Richter-Haus
Das einstige Bansiner
Feuerwehrhaus wurde im
Jahr 2000 umgebaut, um
HansWerner Richter und
seinenWerken ein Denkmal
zu setzen. Ein Großteil
seines Nachlasses sowie
sein Arbeitszimmer können
seither in dem Literatur-
haus besichtigt werden. Das
‚Günter-Grass-Zimmer‘
birgt Originalzeichnungen
und Grafiken des Literatur-
Nobelpreisträgers Günter
Grass und ist zugleich
Kulisse für Lesungen wie
die alljährlich stattfinden-
den ‚HansWerner Richter
Literaturtage‘.
Öffnungszeiten
Juli /August:
Dienstag – Freitag,
10:00 – 18:00 Uhr
Samstag und Sonntag,
12:00 – 18:00 Uhr
Januar – Juni und
September – Dezember:
Dienstag – Freitag,
10:00 – 16:00 Uhr
Samstag und Sonntag,
12:00 – 16:00 Uhr
Adresse
Waldstraße 1
17429 Seebad Bansin
Tel.: +49 (0)38378 478 01
E-Mail: hwr-haus@
kaiserbaeder-auf-usedom.deFotos Seite 64 und 65: ©Hans-Werner-Richter-Haus, ©Archiv UTG (1), ©Ann Schult (2)
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