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70 | Usedom

Bäderarchitektur

Berliner Schick

bringt architektonischen Glanz auf die Insel

Zu Kaisers Zeiten

Denn schon zu Kaisers Zeiten galt Usedom als die „Bade-

wanne Berlins“.Wer es sich leisten konnte und hip sein

wollte, fuhr nach Usedom an die Ostsee. Nicht nur zum

Baden.Vor allem zum Residieren und Promenieren.

Forstmeister George Bernhard von Bülow, ein Verwandter

des Humoristen Vicco von Bülow, alias Loriot, machte aus

dem kleinen Fischerdorf ein Seebad. Nachdem 1820 der

Sohn des Preußen-Königs FriedrichWilhelm III. bei einem

Kurzbesuch dem Dörfchen den Namen „Heringsdorf“ ver-

passte, avancierte es schnell zu einem der gefragtesten Kur-

und Erholungsorte der Berliner High Society. Denn Seeluft

galt als gesund. Und Heringsdorf als exklusiv und mondän.

1824 ließ Bülow die erste Badeanstalt am Strand errichten.

Und seitdem kamen sie alle – die Reichen und Schönen,

die Adligen, die Bankiers und die neureichen Großindu-

striellen, die Maler und Schriftsteller. Berühmte Namen

wie Thomas Mann, Maxim Gorki,Theodor Fontane, Kurt

Tucholsky sind unter den Berühmtheiten zu finden, die hier

gern urlaubten. Und sogar Kaiser Wilhelm II. war häufiger

Gast in Heringsdorf.Wenn seine Hoheit in Swinemünde

den Ausbau des Marinehafens begutachtete oder von dort

mit seiner Yacht „Hohenzollern“ zu einer seiner Nordland-

touren aufbrach, ließ er es sich nicht nehmen, auf eine Tasse

Tee bei der Witwe des Konsuls Staudt, Elisabeth Staudt, in

ihrer Villa in Heringsdorf vorbeizuschauen. Andere promi-

nente Usedom-Fans wie Johann Strauß zog es ebenso auf

die Insel wie den österreichischen Kaiser Franz-Josef sowie

Kronprinzessin Viktoria mit dem späteren Kaiser Friedrich III..

Zar Nikolaus I. ankerte mit seiner Schwester und den Groß-

fürstinnen mit seiner Yacht „Navarino“ vor der Küste. Und

die Liste hochrangiger Adelsvertreter reißt bis heute nicht

ab.Vor einigen Jahren besuchte die schwedische Königin

Silvia die Kaiserbäder.

Ahlbeck – 1896 aus der Seebad-Taufe gehoben – wurde

mit seinerWarmbadeanstalt zu einem regelrechten Familien-

bad. Genauso wie Bansin, das 1897 gegründet, als erstes

deutsches Seebad 1923 die „Freibade-Erlaubnis“ erhielt. So

durften die Ostseeliebhaber im Bademantel direktemang vom

Hotel über die Promenade zum Strandkorb schlendern

und sich im Badekleid frei in den Ostseewellen vergnügen.

Die Anreise in die Kaiserbäder war in der Anfangszeit

allerdings alles andere als unbeschwerlich. Mit der Kutsche

oder per Dampfschiff dauerte die Fahrt von Berlin oft ein

bis zwei Tage. Mit Inbetriebnahme der Eisenbahnstrecke

Berlin–Swinemünde über die Karniner Hubbrücke reisten

die Herrschaften ab 1876 gemütlich im Zug binnen zwei 

Siewirkenwie Zuckerwerk mit ihren Säulen,

Erkern,Türmchen und Balustraden, ihren

filigranen Stuckelementen und Schnör-

keln: DieVillen der drei Kaiserbäder Ahlbeck,

Heringsdorf und Bansin säumen Europas

längste Promenadewie Perlen einer Kette.

Sie sindweltweit das gröSSte Ensemble

erhaltener Bäderarchitektur.Verwirk-

lichte Träume aus Holz und Stein.Träume

vornehmlich der Berliner Schickeria des

ausgehenden 19. Jahrhunderts.

Text

Sandra Grüning