

Man geht nicht einfach in eine Kirche und sagt, hier möchte ich
Theater spielen. „Doch!“, beteuert Kern, „Pfarrer WinfriedWenzel
fand die Idee auf der Stelle gut“. Das erste Stück, „Jedermann“ mit
dem Schauspieler Andreas Schmidt-Schaller in der Hauptrolle, war
ein grandioser Erfolg. Die Geschichte darüber, was am Lebensende
noch bleibt, ist geradezu für die Kirche gemacht. Es ist genau diese
Mischung, welche die Veranstaltung „Klassik am Meer“ und seine
nunmehr 15 Jahre währende Erfolgsgeschichte so einzigartig macht:
Klassische Theater-Literatur, eine kleine Promi-Beigabe, eine wunder-
bare Spielstätte und Jürgen Kern mitsamt seiner Mannschaft.
Wer in Koserow regelmäßig ins Theater geht, durfte die Meilenstei-
ne der Klassik erleben: Jedermann, Faust, Nathan der Weise, Minna
von Barnhelm, Der zerbrochene Krug,WilhelmTell, Der Besuch der
alten Dame, Die Leiden des jungenWerther, Galileo Galilei, Kabale und Liebe,Warten auf
Godot – und die Besucher sind für diese Stücke dankbar. Im Anschluss an einen anstren-
gendenWander- oder Strandtag tut Geistiges wohl.
Kern erinnert sich, wie einmal beim „Nathan“ Gäste etwas skeptisch vor der Tür standen:
„Welche Übersetzung spielen Sie?“ „Was meinen Sie? Nathan ist von Lessing.“ Die Gäste
haben zuvor in ihrer westfälischen Heimatstadt eine überambitionierte Inszenierung des
Stücks gesehen, in der die eigentliche Geschichte verschwand. Sie waren dankbar für diese
Inszenierung, denn dieser „Nathan“ war werktreu und auch amüsant – und mit Jürgen
Zartmann in der Titelrolle. Es drängt sich die Frage auf, wie Kern es schafft, immer wieder
gute SchauspielerInnen in sein Ensemble zu holen, die einen hohen Bekanntheitsgrad
haben, wie beispielsweiseWolfgangWinkler, den Polizeiruf-Kommissar oder Renate Blume,
eine bekannte und gleichermaßen beliebte Schauspielerin aus DDR-Zeiten. „Man kennt
sich halt und 50 Jahre Theatererfahrung sind nicht vomTisch zu wischen.“ Jürgen Kern ist
uneitel, wie kaum einer in dieser Branche. Mit seinen Stars und um sie herum hat er ein
Der 73-jährige Jürgen Kern studierte
an der Theaterhochschule in Leipzig,
war als Schauspieler in Gera tätig
und wechselte schließlich zum Ber-
liner Ensemble, wo er als Meister-
schüler von ManfredWekwerth und
Ruth Berghaus eine Regieausbildung
erhielt. Er inszenierte in diesem
weltberühmten Haus sowie in
Celle, Dresden, Köln, Schwerin und
anderen renommierten Spielstätten.
Jürgen Kerns persönlicheVorliebe besteht darin, die meisten
Stücke aus eigener Hand zu inszenieren und besetzt sich auch
häufig selbst in einer kleinen Nebenrolle, die meist einen
komischen Tenor hat. Darüber hinaus ist er ein Regisseur, der
den Autor achtet, der Spielfassungen erarbeitet, die dasWerk
zur Geltung kommen lassen und der demWerk keine modische
Pointe überstülpt.
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Klassik am Meer
V.l.n.r.: Die Inszenierungen „Minna von Barnhelm“ von Gotthold Ephraim Lessing, der „Besuch der alten Dame“
von Friedrich Dürrenmatt sowie „Kabale und Liebe“ von Friedrich Schiller.
Klassik
am Meer
ES IST DAS ERGEBNIS GLÜCKLICHER UM-
STÄNDE: ER HAT SEINEN URLAUB IN
KOSEROWVERBRACHT, IST DORT IN DIE
KIRCHE GEGANGEN, HAT DEN PFARRER
GETROFFEN – UNDTHEATER IM KOPF
GEHABT: DER REGISSEUR JÜRGEN KERN
UND DIE GESCHICHTE hinter derVer-
anstaltung „KLASSIK AM MEER“.
Text
Martina Krüger
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Klassik am Meer
großes Ensemble geschaffen, auf das er jederzeit zurückgreifen kann, denn Ensembletheater
– das wirkliche miteinander Spielen – macht den besonderen Reiz für den Zuschauer aus.
In Sachen Schauspieler und Schauspielerinnen hat Kern außerdem ein Dutzend Asse im
Ärmel: Elf Jahre lang war er künstlerischer Leiter der Theaterakademie Vorpommern, die
in Zinnowitz Schauspieler ausbildet. Dort sucht er dann auch die geeignete Besetzung für
sein Ensemble.
Nicht zu unterschätzen ist das Drumherum bei solch einer Sommerproduktion.Wer
wäscht dieWäsche? Wer kümmert sich um die Presse? In diesen Belangen wird der
Künstler Kern zum wirklichen „Vater“ des Hauses: Er belädt dieWaschmaschine selbst und
kümmert sich um die Medien. „Da bin ich dann ein bisschen
Striese“, lacht er. Emanuel Striese, jener Theaterdirektor aus
„Der Raub der Sabinerinnen“, den es freilich nie gab, der aber
doch zur Legende wurde, weil er sich eben um alles imTheater
selbst kümmerte – von der Inszenierung bis zur Werbung.
Wie geht es nun weiter bei „Klassik am Meer“? Wird der Stück-
fundus nicht über die Jahre dünner? „Einige Klassiker schließen
sich tatsächlich aus“, räumt Kern ein. „Moliere zum Beispiel, der
hat zu viele Direktheiten, die in einer Kirche schlecht auszuspre-
chen sind“, sagt er höflich gegenüber dem Autor. Shakespeare
sei da auch so ein kritischer Fall, immer sehr lang, sehr direkt
und zuweilen sehr blutig. Aber Jürgen Kern gehen natürlich die
Autoren nicht aus. Für das kommende Jahr denkt er über einen
Schiller nach.
Weitere Informationen zu den Stücken und
Spielplänen unter:
www.klassik-am-meer.deZUR P ERSON
Fotos Seite 48 & 49: Dr. Gründling (3); Bettina Keller