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Herr Karasek, Sie begleiten die Use-

domer Literaturtage seit ihrer Grün-

dung im Jahre 2008.Was führt Sie

immer wieder auf die Insel Usedom?

Ihre Einladungen und der alte

Luxus, der wieder durch die wunder-

bare Badestimmung durchschimmert

und sich bemerkbar macht. Es ist ein

lohnender Weg, weil es eine so schöne

Insel ist. Nicht nur wegen der Pracht

der Kaiserbäder, sondern es ist auch

die Nähe der Grenze, die inzwischen

eben eine sehr zusammenführende

Grenze ist.

International bekannte Schriftsteller

wie Theodor Fontane, Maxim Gorki,

Kurt Tucholsky, Heinrich Mann und

Thomas Mann waren hier zu Gast.

Gehen Sie auf Usedom auch auf

Tuchfühlung mit den großen Schrift-

stellern?

Ich bin kein Nachwanderer. Aber

ich versuche schon den Geist der

damaligen Zeit aufzufangen, als Berlin

seine Bäder aussuchte. Ich erhole mich

dabei auf Usedom immer gut und

fühle mich wohl. Und lerne bei den

Usedomer Literaturtagen spannende

Autoren undWerke kennen.

Was waren denn die einprägsams-

ten Erinnerungen an die Usedomer

Literaturtage?

Also jedes Jahr war auf seineWeise

einprägsam. Mich haben aber eine

junge tschechische Autorin, Radka De-

nemarková sowie der letzte tschechi-

sche Preisträger sehr beeindruckt.

Der Usedomer Literaturpreisträ-

ger 2014, Jaroslav Rudiš, erhielt den

Literaturpreis u. a. für seine humor-

vollen Beobachtungen des Lebens

in Deutschland aus der Perspektive

eines Tschechen.Was hat Sie am

letzten Preisträger überzeugt?

Seine Gegenwartsnähe und dass er

genau das Thema zwischen den beiden

Ländern zu seinem Gegenstand macht.

Die Usedomer Literaturtage werfen

ihren Blick über die Landesgrenze in

Richtung Osten.Auf Usedom teilen

sich Polen und Deutsche die Insel.

Welche polnischen Autoren haben

Sie beeinflusst?

In der polnischen Literatur halte ich

Stanisław Lem für einen der größten

Autoren im Science Fiction-Genre. Er

ist ein Utopist, der wahnsinnig moderne

Bücher über zeitgenössische Bedrohun-

gen geschrieben hat, die oft an „1984“

(Werk von George Orwell, Anmerkung

der Redaktion) heranreichen. Aber auch

unter den tschechischen Autoren gibt

es viele, die mich beeinflusst haben, ins-

besondere Jaroslav Hašek und natürlich

Milan Kundera. Um nur zwei Namen zu

nennen, die für mich wichtige Quellen

darstellen. Kundera war einer meiner

wichtigsten Leseerlebnisse, auch wenn

ich bis heute – ähnlich wie bei meinem

eigenen Namen – noch nicht ganz

sicher bin, wie er tatsächlich ausgespro-

chen wird

(lacht)

.

Sie sind in der Nähe zur tschechi-

schen Grenze geboren, kommt daher

Ihr Hang zumWitz?

Ich glaube schon. Also wer in Brünn

aufgewachsen ist und die Nähe zu

Wien hat, der kennt die tschechische

Küche sehr gut, weil dieWiener Küche

die tschechische ausgeplündert hat.

Und wer aus Tschechien stammt, der

muss zugeben: Ohne den Soldaten

Schwejk gäbe es überhaupt keinen

Humor der k.u.k. Monarchie.Was

Schwejk im ErstenWeltkrieg an Humor

geleistet hat, ist mit das Beste, was aus

Österreich gekommen ist.

Es ist doch aber nicht nur die Nähe

zum östlichen Nachbarn?

Der Hauptgrund ist dem Umstand

des Alters geschuldet, weil einem

nichts anderes übrig bleibt. Das Alter

ist eine Katastrophe oder ein „Massa-

ker“, wie Philip Roth sagt. Gegen dieses

Massaker kann man nur eines tun:

Verzweifelt dagegen anlachen.

Haben Sie einenWitz parat?

Ja, der geht so: Ein Mann in meinem

Alter kommt zum Arzt und sagt: „Herr

Doktor, ich hab’ nach dem Sex immer

so ein Pfeifen im Ohr“. Und der Arzt

antwortet: „Was, erwarten Sie Standing

Ovations?“

Inwiefern kann Humor zur Verstän-

digung über Ländergrenzen hinweg

helfen?

Ich denke, Humor ist länderüber-

greifend.Wenn manWitze über alte

Leute macht, gelten die wahrscheinlich

sowohl für Polen und Deutsche, als

auch für Tschechen.Wir sind alle Mit-

teleuropäer und haben insofern eine

gemeinsame Humorwurzel.

Hatten Sie jemals einen Kurschatten

auf Usedom?

Nie, weder hatte ich einen, noch

war ich einer. Ich bin, glaube ich, auch

ein etwas zu alter Kurschatten, deshalb

habe ich zu den Literaturtagen 2013

meine Tochter mitgebracht.

Sie ist in Ihre Fußstapfen getreten.

Würden Sie sich als Schriftsteller

bezeichnen?

Ich weiß nicht, ob die Absicht nicht

zu spät kommt, aber ich habe immer-

hin zwanzig Bücher veröffentlicht,

darunter drei belletristische Romane.

Ich würde schon sagen, ich sei ein

Schriftsteller.

Gibt es bei Ihnen und Jaroslav

Rudiš ähnliche Motivationen, über

Deutschland zu schreiben? Sie kom-

men immerhin aus einem Landstrich,

der unter deutschem Protektorat

stand.

Meine Heimat ist ja im Gegensatz

zu seiner die deutsche Sprache. Aber

in der Familie meiner Großeltern

gab es einen tschechischen Zweig,

meinen Onkel. Der sprach vorwie-

gend tschechisch, aber wir waren alle

deutschsprachig und haben darauf

auch größten Wert gelegt.

Was wünschen Sie sich für die Zu-

kunft der Usedomer Literaturtage?

Weiterhin interessante literarische

Erkundungen über Ländergrenzen

hinweg, viele geneigte Besucher und

wunderbare Autoren auf dieser herr-

lichen Insel.

Hellmuth Karasek, einer der bekanntesten deutschen Literaturkritiker sowie

Unterstützer und Jurymitglied der Usedomer Literaturtage, im Gespräch über

die Anziehungskraft der Insel Usedom auf Literaten, die Grenzenlosigkeit des

Humors und den Kampf gegen das Altern.

Aufgezeichnet von

Alexander Datz

Dem Altern mit

Humor begegnen

„Das Alter ist eine Kata-

strophe … Gegen dieses

Massaker kann man nur

eines tun: Verzweifelt

dagegen anlachen.”

Foto: ©ullstein bild - Sven Simon

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