

Der Duft unzähliger Parfums, Haarspray, Schminke,
Staub und Adrenalin liegen in der Luft. Die Atmo-
sphäre kurz vor Beginn der Show ist elektrisiert,
aufgeladen mit Emotionen, Lampenfieber, Hoff-
nungen. Denn in ein paar Sekunden geht es für die
zwölf Designer, die um den Baltic Fashion Award
wetteifern, um alles oder nichts.
Während sich hinter der Bühne das Model Paula
kaum noch traut, zu atmen – ihr Brautkleid, über
und über mit künstlichen Fingernägeln bestickt, ist
so eng, dass Luft zur Mangelware wird –, zie-
hen und zerren gleich drei Dresser, zu Deutsch
Ankleiderinnen, an Agnieska herum. Ihr Outfit ist
komplett aus Latex und verlangt beim Anziehen
wahren Körpereinsatz.Trotzdem ist die Stimmung
ausgelassen. „Ein bisschen aufgeregt bin ich schon.
Aber das gehört dazu“, lacht Paula. Die 26-Jähri-
ge ist im Modegeschäft längst ein eingefleischter
Hase. Seit zehn Jahren modelt sie. Anders als der
16-jährige Vincent, der das Insel-Casting zur Show
gewonnen hat und nun zum allerersten Mal die elf
für die Award-Gala 2014 nominierten Kollektionen
dem Publikum präsentiert.
Für die 28 Models ist jedes Outfit Kunst. Bei den
Stücken der Designerin Pia Fischer ist das unver-
kennbar.Wie einem Science Fiction-Film entstiegen,
sehen ihre fantastischen Kreationen „Anderwel-
ten“ aus. „Ich drapiere nicht gerne Stoffe, sondern
experimentiere lieber mit unterschiedlichen
Materialien. Auch solchen, die nicht unbedingt für
Kleidung konzipiert wurden“, erklärt die Dresd-
nerin. Jeder ihrer Entwürfe ist einzigartig. Mal sind
es 20.000 künstliche Fingernägel, die sie zu einem
Kleid zusammengenäht hat. Mal sind es Filmfolien,
die sie so übereinander schichtet, dass sie im Licht
der Scheinwerfer wie ein Diamant glitzern.
Während es draußen, im Showroom, ganz still
geworden ist, geht es hinter der Bühne in den
Endspurt. Hier noch ein paar Stiche mit der heißen
Nadel, dort den überdimensional großen Hut
auf den richtigen Kopf drapiert, die Smokey Eyes
nachgezogen, die Klapperlatschen der „Hasen mit
Meer“ zurechtgezupft. Dann geht es raus auf den
Catwalk, wo die Augen der internationalen Fach-
jury jedes einzelne Designerstück kritisch unter die
Lupe nehmen.
EineWoche lang drehte sich bis 2014 alljährlich
beim Baltic Fashion Award alles um die neuesten
Modetrends. Er war der einzige internationale Mo-
dewettbewerb der Ostseeregion. Seit der Blütezeit
der Bäderkultur im frühen 20. Jahrhundert spielt
in dem Kaiserbad die Mode eine wichtige Rolle.
„Sehen und gesehen werden” war und ist noch
immer das Motto. Seit 2002 präsentierten Desig-
nabsolventen aus Schweden, Lettland, Dänemark,
Norwegen, Russland, Polen, Finnland, Estland, Litau-
en, Deutschland und Großbritannien 12 Jahre lang
ihre Kollektionen auf dem Baltic Fashion Award.
Von jährlich knapp 100 Bewerbern nominierte die
Jury die außergewöhnlichsten für die Preisgala.
Für den künstlerischen Leiter des Awards, Andrej
Subarew, ist dieWoche vor der Show die arbeits-
reichste des ganzen Jahres. „Da haben die Tage
plötzlich 48 Stunden“, lacht er. Aber er liebt das
Gewusel, die ganz besondere Atmosphäre, die
Bilder in seinem Kopf, die auf der Bühne allmählich
in einer Show real werden. Als Artdirector ist er
verantwortlich dafür, dass alle Designer so gut wie
möglich präsentiert werden, für den Ablauf der
Show, aber auch für ihre Qualität. Für die Designer
und die Models, die Stuffs und Dresser ist er ein
bisschen wie ein Vater. Die Vielfalt des Ostsee-
raumes und der trotz aller Unterschiede gleiche
Anspruch an die Mode machen für ihn den Reiz
des Awards aus: „Das Level war jedes Jahr stetig
gewachsen.“
Die Gewinnerin des Wettbewerbes 2014, Anna
Bornhold, überzeugte mit ihrer ausgefallenen
Fantasie und der handwerklich anspruchsvollen
Umsetzung in Strick. Mit ihren „Hasen mit Meer“
brachte sie das Publikum und die Jury nicht nur
zum Schmunzeln, sondern eroberte mit Witz und
Können auch deren Herzen. Anderssein ist eben
Trumpf bei diesem Modewettstreit an der Usedo-
mer Ostseeküste.
Ein Blick hinter die Kulissen des Baltic Fashion Award
Wenn die Luft knistert
Text
Sandra Grüning
Fotos
Matthias Gründling
Gespannt verfolgen die Models
hinter der Bühne die Eröff-
nungsshow des Awards. Da wird
geflachst und gelacht.Wenn
es dann allerdings "Go" heißt,
wird's ernst.
Es riecht nach Parfum und
Theaterschminke.Während
die Zuschauer im Saal die
neuesten Design-Kreationen
bestaunen, herrscht hinter
dem schwarzen Vorhang Trubel.
Make-up-Artists, Models,
Designer und Dresser wirbeln
in einer ganz eigenen Choreo-
grafie durch die Show.
Vor allem die humoristische
Kollektion „Hasen mit Meer”
von Anna Bornhold hatte es
2014 den Award-Gästen und
den Juroren gleichermaßen
angetan. Und so gewann die
Oldenburgerin nicht nur den
1. Preis der Jury, sondern auch
den Publikumspreis.
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